Antonia Steger | 3. August 2015
Von der Verbannung alles Pflegeunleichten in Zürich und von der Aufgabe der Kunst im öffentlichen Raum: Ein Gespräch zwischen Pascal Häusermann und Antonia Steger.
Antonia Steger
Pascal, du hast mit „Traits of a Square“ auf dem Alstetterplatz ein Kunstwerk im öffentlichen Raum realisiert. Violette Linien legen sich in einem geometrischen Muster über den Platz vor dem Bahnhof. Täglich überqueren tausende Pendler diesen Ort und nun legst du ihnen Kunst unter die Füsse. Was stellst du hier an?
Pascal Häusermann, „Traits of a Square“, 2015. Foto: Cédric Eisenring
Pascal Häusermann
Mir geht es um das Durchbrechen von Gewohnheiten. Der Raum in Zürich ist durchökonomisiert, durchorganisiert und irgendwie kulturell determiniert. Ich würde sagen, unsere protestantische Leistungsgesellschaft richtet den öffentlichen Raum völlig nach Funktionalität aus.
AS
Kennst du Gegenräume? Oder an was denkst du, wenn du die funktionale Gestaltung kritisierst?
PH
Ich denke an Grünzeug und Bepflanzungen, die etwas unwirsch sind, etwas pflegeunleicht. In Zürich wird das verbannt – in der Neugestaltung von Plätzen läuft es meist darauf hinaus, dass es grüne Inseln gibt, die ausgespart werden. Man kommt auf die Idee, alles mit Kies zuzuschütten oder alle fünf Meter einen eingeketteten Baum hinzupflanzen, in Beton oder Splitt. Ich könnte mir aber durchaus Anlagen vorstellen, in denen es mehr Grün gibt, mehr versteckte Räume.
AS
Für dich ist das Funktionale also verwandt mit einer Zähmung der städtischen Vegetation.
PH
Ja, absolut. Weiter sehe ich auch, dass Zürcher Plätze selten als Piazzas verstanden werden, bei denen Stühle in den Stadtraum hineingestellt werden könnten. Auch beim Altstetterplatz passiert diese Ökonomisierung: Wir haben so und so viele Passanten pro Tag, und die müssen möglichst schnell vom Bahnhof zur Bushaltestelle gelangen. Da würden Stühle nur stören.
AS
Da könnte man auch sagen: In der städtischen Gestaltung wird der Bewegungsfluss wichtiger genommen als das Verweilen?
PH
Ja, das ist so eine Mentalitätsfrage.
AS
Da muss ich doch ein Gegenbeispiel nennen: Auf dem neuen Sechseläutenplatz finde ich es extrem gut gelungen, wie Bewegung und Verweilen vermischt werden. Sitzende, gehende, fahrende Menschen geraten dort alle durcheinander, was eine spannende Atmosphäre erzeugt.
PH
Jetzt verbrennt man sich auf dem Sechseläutenplatz einfach gerade den Kopf.
Sechseläutenplatz an einem November-Wochenende. Foto: Antonia Steger
AS
Ja, jetzt ist es zu heiss. Du würdest wohl sagen, dort fehlt das Grün. Der Steinboden hat aber auch sein Gutes: Dafür kann man schon sehr früh im Jahr auf den Sechseläutenplatz verweilen, ab März oder April. Wenn da jetzt eine schöne Wiese wäre, könnte man erst viel später drauf sitzen, wenn sie nicht mehr feucht ist.
PH
Und dürfen da die Jungen einfach Bier trinken und geniessen?
AS
Ja, das machen sie auch. Gerade an den Abenden vom Wochenende wird der Platz von Jugendlichen regelrecht in Besitz genommen.
PH
Schön, wenn der Platz zum Treffpunkt wird…
AS
Der Sechseläutenplatz ist ein gutes Beispiel dafür, wie der gestaltete Raum eine Grundlage für soziale Interaktionen bildet. Du möchtest nun mit deiner Arbeit auf dem Altstetterplatz auch etwas im Alltag der Menschen verändern…
PH
…die Linien sollen die Leute aus ihrer Routine herausholen, aus ihrer iPhone-Abkapselung, damit sie überhaupt wieder zu einer Raumwahrnehmung kommen.
AS
Es ist ja sehr interessant, wie die offiziellen Verkehrslinien im öffentlichen Raum funktionieren. Es gibt Unmengen davon und sie sind völlig verschieden: Fussgängerstreifen, Halteverbot, Parkplatzmarkierungen etc. Diese Linien handeln – sie verbieten, sie informieren, sie legen nahe. Oder sie wollen Handeln beeinflussen, dass Menschen mit ihren Körpern den Raum anders benutzen. Da frage ich mich: Auf welche Art wollen deine Linien etwas bewirken?
PH
Mich interessiert die Irritation, dass nicht sofort ersichtlich ist, warum dieses Element nun dort auf dem Platz ist. Meine Linien haben Referenzen zu Seefahrer-Karten und zur Geometrie der Ornamentik im arabischen Raum. Sie werden von einem komplett anderen Ort auf den Altstetterplatz übertragen. Diese Linienmuster fangen dann auch an, den Platz zu orchestrieren. Die Leute sehen plötzlich einen Mittelpunkt, an dem sich alle Strahlen treffen. Dann gibt es die Diagonalen, die sich jedoch in hundert neue Optionen der Bewegungsmöglichkeiten multiplizieren. Die Leute nehmen diese Linien wahr, und vielleicht bewegen sie sich sogar nach ihnen. Das wäre ein erwünschtes Ereignis, das wäre toll.
AS
Als ich auf dem Altstetterplatz verweilte, konnte ich in zwei Stunden keine einzige Reaktion auf deine Linien beobachten. Ist es denn enttäuschend, dass die Passanten nicht äusserlich sichtbar auf die Linien reagieren?
Pascal Häusermann, Produktion von „Traits of a Square“, 2015. Foto: Cédric Eisenring
PH
Nein, das ist nicht enttäuschend. Wenn da nun wenig Interaktion entsteht, würde ich im Nachhinein eine auffälligere Farbe wählen. Aber ich muss doch sagen: Gerade bei der Produktion der Linien gab es viele Reaktionen auch von der Quartierbevölkerung. Zudem habe ich verschiedene Performances gemacht. Vier Tage lang ging ich mitten in der Rushour zwei Stunden lang auf den Linien herum. Am letzten Tag machte ich eine Performance mit mehreren Leuten. Wir gingen auch mitten zwischen Personen hindurch, wir störten. Da passierten schöne Interaktionen mit dem Publikum. Die Reaktionen blieben jedoch sehr verhalten. Die wenigsten Passanten haben explizit hingesehen. Die einzigen, die richtig beobachteten, waren die Leute, die auf den Bänken verweilten, ohne Ziel vor Augen.
Foto: Antonia Steger
AS
Das finde ich interessant, dass es deine irritierende Performance brauchte, damit überhaupt kleine Interaktionen mit den Leuten entstanden. Dass die Gewohnheiten so stark sind, dass man sich von so Linien nicht ablenken lässt oder auch nicht kann – es wäre ja seltsam, wenn man als erwachsene Person plötzlich auf den Linien tanzen würde.
PH
Diese Alltagsregeln kannst du auch fast nicht unterbrechen. Da verärgerst du die Leute sofort. Das finde ich nicht interessant.
AS
Aber grundsätzlich ist es doch etwas vom Interessantesten, warum die Unterbrechung von Routinen manchmal gelingt und manchmal nicht. Überhaupt, wie Gedanken und Handeln zusammenhängen. Warum können gewisse Ideen dazu führen, dass ganze Staatssysteme umgestürzt werden? Und warum ist es andererseits manchmal so schwierig, kleine Wünsche oder Vorstellungen in Taten umzusetzen? Das frage ich mich auch bei der Kunst: Kunst betrachtet man, vielleicht assoziiert man sogar, man macht sich Vorstellungen. Das passiert alles im Kopf. Aber welche Fäden spinnen sich dann weiter, was von der Kunstbetrachtung wird in körperliches, räumliches Tun umgesetzt, auf welche Art?
Pascal Häusermann, Performance zu „Traits of a Square“, 2015. Foto: Nelly Rodriguez
PH
Das Überführen von künstlerischen Ideen in Handlungen ist mir sehr wichtig. Dazu gehört auch das räumliche Aussetzen des eigenen Körpers, eine Recherche der eigenen Rolle in dem Raum, in dem man sich befindet.
AS
Eine Qualität von „Traits of a Square“ ist gerade, dass das Werk invasiv ist, ohne zu stören. Es ist weniger aufdringlich als eine Skulptur, aber man kann sich ihm gleichzeitig weniger entziehen, weil es so flächig ist. Gibt es bei dir auch eine versteckte Autorität des Künstlers?
PH
Es ist insofern eine Autorität, als ich die Erlaubnis erhielt, so viel Raum einzunehmen. Jeder, der es mit einem Graffiti macht, der riskiert seinen Kragen. Von dem her ja. Aber ich möchte die Leute ja nicht lenken. Du hast ja auch schon bemerkt, dass sie nicht gestört werden. Keine Barriere. Keiner muss seinen Gehweg umgestalten.
AS
Also zögerst du letztendlich doch, die Alltagsroutinen der Passanten zu durchbrechen?
PH
Ich möchte, dass die Kunst interveniert. Sie ist eine Setzung, sie ist sichtbar. Im Vergleich mit ephemeren Interventionen im öffentlichen Raum finde ich es toll, wenn sich Kunst auch einer Aufgabe wahrnimmt, z.B. sich an der öffentlichen Raumgestaltung zu beteiligen.
AS
Soll „Traits of a Square“ denn über die Denkroutine hinaus gehen? Soll es mehr bewirken als: „Ah, der Platz hat sich verändert, er seht anders aus. Nun gehe ich weiter“?
PH
Doch, ich glaube, dass man den Platz in einem anderen Gesichtspunkt sehen kann, dass er mehr wird als eine funktionale Durchgangsfläche. Mein Anspruch ist, dass man den Platz überhaupt als Platz wahrnimmt.
Pascal Häusermann, „Traits of a Square“, 2015
Das Werk entstand im Rahmen von AAA Art Altstetten Albisrieden der Stadt Zürich, 13. Juni – 13. September 2015