Antonia Steger | 26. September 2015
Foto: Rene Passet (flickr)
Es ist eine Kurzgeschichte, wie sie zum Klangteppich der urbanen Kultur von heute gehört: Irgendwo eröffnet ein innovatives Pop-up Restaurant in einem leerstehenden Gebäude.
Wir erwarten so etwas: Ein bisschen Luxus vermählt sich mit alt-bröckelnden Industriehallen, lange Tafeln beschwören das Soziale am Essen. Essen als Erlebnis. Frisch und echt Thai. Authentisch Fusion (haha).
Aber nein, es ist viel mehr als Essen. Es ist auch der Thrill des blossen Daseins, der die Haut kribbeln lässt. Wir sitzen an einem Ort, der zurückerobert wurde, (meist) der Industrie entrissen, umgenutzt, re-used. Zwar nicht von uns, aber wir können die Früchte ernten. Wir sind als Publikum geladen, die kreativsten Umwandlungen zu segnen. Wir unterstützen und bejahen durch unsere blosse Anwesenheit.
Naja, wir wohnen so quasi als Schiedsrichter einem Akt der urbanen Schöpfung bei.
Aber während wir zufrieden von Vernissage zu Afterparty flogen, hat sich unter unseren Füssen die Erde umgedreht. Heute geht in Zürich keine leere Fabrikhalle, sondern ein jahrelang nicht vermieteter Büro-Fastneubau temporär an: Pop-up. Weil „so kurzfristig Mieterträge generiert werden können und die Liegenschaft belebt bleibe, wie eine Sprecherin auf Anfrage sagt“ (20 min online). Aus demselben Grund ist auch Sihlcity begeistert von: Pop-up. Sogar Maserati hat’s entdeckt: Das Pop-up.
Das Prinzip Pop-up wird nun auch gezielt von gewinnorientierten Firmen eingesetzt. Beginnt damit eine neue Ära? Pop-up ist immer noch Mittel für die Expedition nach Innen, urbane Partizipation durch Verfremdung. Pop-up ist jetzt aber auch eine Aufwertungsstrategie, die sich monetär messen lässt.
Die Hipster-Kultur scheute sich noch nie vor Allianzen zwischen Kunst, Geld und Selbstverwirklichung. Selbstausbeutung im kreativen Speckgürtel gehört zum guten Ton. Im Traum vom eigenen Café, Magazin oder Nussknacker-Design schlägt sich der Schöpfungshunger einer Generation nieder, die über noch nie gekannte Ausmasse an Freiheiten verfügt und selbst kaum Geld besitzen muss.
Die Frage ist also berechtigt, ob mit der zunehmenden Einverleibung der urbanen Hipness durch gewinnorientierte Firmen sich überhaupt etwas ändert. Ich bin noch unschlüssig… Ich denke dann an die zwei Sohos. Und besonders an die Simon-Dach-Strasse. Und freue mich auf die kommenden Eröffnungen und drücke die Daumen.
DIALOG
Hallo Antonia!
Sehr schön und anregend geschrieben! Ich stimme dir im Grossen und Ganzen zu, Pop-Up ist im Mainstream angekommen, und da stecken inzwischen längst nicht mehr nur Künstlerkollektive und Gastrotruppen dahinter. Dass inzwischen das Sihlcity Pop-Ups macht zeigt, dass das Konzept schon lange nicht mehr so Avantgarde ist wie es das mal war.
Es ist wohl der normale Lebenszyklus einer guten Idee: Im Kleinen begonnen, grösser, cleaner und erwachsener geworden, und irgendwann von allen übernommen sodass es wieder langweilig wird und sich selber irgendwann wieder abschafft.
Auf der anderen Seite: Wenn wir das Sihlcity mit dem Pop Up etwas aufmischen und spannender machen können, weshalb nicht? Zumal unsere Alternative gewesen wäre, Print Matters! einfach wieder einzustampfen. Dass das Sihlcity das nicht aus purem Altruismus macht, ist klar. Dennoch: Das sie es machen, ist schon mal eine grossartige Sache, gerade für ein klein-budgetiertes Trüppchen wie das unsere. Lieber diese Version als leerstehende Räume oder die 213. H&M-Filiale..
😉
Gruss, Florian
Update „Mega Pop-Up“
Update Tages-Anzeiger vom 1. März 2016
„Warum trendige Stadtzürcher gerne den guten Geschmack ignorieren. Über den Fluch temporärer Restaurants – und wo sich ein Besuch lohnt.“