| 3. April 2016

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Wenn die Wellensittiche der Nachbarin sterben, scheint das kein Ereignis mit grosser Reichweite zu sein. Auch Hunde sterben, Katzen werden überfahren. Es ist so gesehen nichts Schlimmes.

Und doch kann es in relevantem Ausmass weh tun. Der Tod eines Haustiers kann mehr verfärben als die Farben Deiner Welt, mehr von Dir erfordern als ein neues Tier nachzukaufen. Es kann Deine räumliche Umgebung verändern.

Es beginnt damit, dass Du einem Tier, das Du nach Hause nimmst, Raum in deiner Wohnung gibst. Du gehst womöglich vorsichtiger als bisher in der Nähe des Schlafkorbs, Du verdunkelst in der Nacht den Käfig, damit Nachtruhe einkehren kann – es ergeben sich Nutzungskonflikte. Einem Tier trittst Du ein Stück Eigentum ab. Du gibst zunächst etwas weg.

Doch Du gibst weg, damit etwas zurückkommt: das Willkommens-Bellen, das Schnurren vor dem Fernsehgerät, das neugierige Zerfleddern Deiner Bücher, die Du gerade liest. Der Raum Deiner Wohnung, den Du dem Tier gibst, wird zu einem Zentrum mit eigentümlichem Charakter: Das Tier beginnt, Dir entgegenzutreten. Von einem Ort Deiner Wohnung aus erstarkt ein Gegenleben, das Du je deutlicher wahrnimmst, desto länger Du neben ihm wohnst.

Dieses Entgegenleben ist jedoch fundamental anders als dasjenige der Musikboxen, die Du mit eigenen Fingern lauter gestellt hast. Denn das, was von Bello, Maunzi und Tschipsy zurückkommt, umfasst grösseres Chaos als das Drücken eines Play-Knopfes oder das Kochen eines exquisiten Essens, das mit viel Übung schliesslich doch beherrscht werden kann. Mit Tieren kannst Du Routinen erwarten, jedoch nicht beherrschen. Es bleibt eine Restmenge an Überraschung, an Aktion, die an Dich herantritt. Das Tier machst Du Dir zunächst zum Fremden, als das es erst mit Dir in Beziehung treten kann. In diesem Moment fühlst Du so deutlich Dich wie selten.

Wenn ein solches Haustier nun stirbt – keine Zeitungsmeldung wert –kann eine Welt mit einem Menschen in der Mitte für einen Moment zusammenfallen. Das Aussen fällt ab, das Dich täglich zuinnerst berührt hat. Es kann sein – muss nicht – dass mit dem Wegfall dieses Aussennächsten auch Du selbst wegknickst. Und vielleicht ist dies das Beunruhigende daran, in Deine Wohnung einzutreten, in der gestorben worden ist: Du bleibst zurückgeworfen in den nackten Raum zurück. Etwas hat aufgehört, Dir aus dem Raum heraus entgegenzutreten. Du wirst nicht mehr bestätigt.

Vielleicht ist dies der Moment, in dem Du überhaupt erst richtig verstehst, dass Du in einem Raum stehst. Weil der Raum nun ganz, ganz still geworden ist.